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Die Probleme der Energie- und Nahrungsmittelversorgung, Krieg und Terrorismus, Weltklimawandel und Katastrophen konfrontieren uns mit der Verletzlichkeit unseres Lebensraums Erde. Wem überlassen wir die Zukunft unseres Planeten und was können Kunst und Kultur leisten?
Am 8. November 2014 eröffnete Takashi Serizawa, Generaldirektor der Organisation „P3 art and environment“, die Gesprächsrunde „Wem überlassen wir die Erde?”, um diesen Fragen nachzugehen. Dieses stand in einer Reihe mit zahlreichen vom Goethe-Institut Tokyo organisierten Veranstaltungen zu den Themenfeldern Umwelt und Zukunft.
Zu allererst sollten wir uns der Schönheit und Vergänglichkeit der Erde als Teil des Weltalls bewusst sein und spüren, dass diese Erde ein wahrhaft „wundervoller“ Planet ist.
Der erste inhaltliche Beitrag stammte von Hideyuki Ozawa, den seine Faszination für die Sterne dazu animierte, Sternenhimmel-Touren im neuseeländischen Tekapo zu organisieren. Mit seinem Beitrag regte er dazu an, unser Augenmerk auch auf die Welt außerhalb der Erde zu richten, wenn wir über die Zukunft derselben sprechen. Der Designer Jun Kosaka führte diesen Gedanken anhand seiner eigenen Arbeit und Erläuterungen der menschlichen Vorstellung der Welt und des Universums noch weiter, um die Beziehungen zwischen diesen aus verschiedenen wissenschaftlichen und philosophischen Hintergründen heraus zu betrachten. Zentral ist in seinen Arbeiten ein dynamischer Perspektivwechsel zwischen unterschiedlichen Anschauungsebenen, sowie eine Kombination widersprüchlicher Begrifflichkeiten, welche zusammen das menschliche Verständnis der Erde ausdrücken.
Diese Vorstellung der „von Menschen bewohnten Erde“ und dem „Jetzt“, im Verhältnis zur Position, Größe und dem Zeitrahmen der Erde als Teil des Universums wurde im Anschluss durch die Werke des Künstlers Ingo Günther erweitert, der sich vor allem mit soziogeographischen Abbildungen der Welt befasst. So veranschaulicht sein „World Processor“ durch einen leuchtenden Globus Messdaten verschiedener auf der Erde vorkommender Phänomene. „RE-NATURE“ wiederum ist ein Projekt zur künstlerischen Wiederbelebung der japanischen Küste, die Günthers Rolle als Pionier in einer journalistischen und zugleich visuell ausdrucksstarken Form der Kunst unterstreicht.
Zum Abschluss der Präsentationsrunde wandten wir uns an den Künstler Soichiro Mihara, der mit sehr speziellen Herangehensweisen das Leben auf der Erde mit seiner Kunst beschreibt. Ausgelöst durch die Katastrophe von Fukushima, widmet er sich unter anderem der Welt der Mikroorganismen und deren Möglichkeiten zur Gewinnung von Energie.
Im Anschluss an die Präsentationsrunde wurde die Veranstaltung für Fragen aus dem Publikum geöffnet, um Raum für zusätzliche Ideen und Gedankenanstöße zu geben.
GOETHE-INSTITUT TOKYO
www.goethe.de/ins/jp/de/tok.html
Inhalt
Kosmischer Planetarismus | Ingo Günther
Zurück zur Erde! | Takashi Serizawa
Ein Blick auf die Erde vom Horizont des Universums | Jun Kosaka
Freiräume für die Überlieferung der Vielfalt | Soichiro Mihara
Teil 1
Präsentationen
1 Sternenhimmel als Fenster zum Weltall | Hideyuki Ozawa
2 Die Erde vom Horizont des Universums betrachtet | Jun Kosaka
3 Irdische Messdaten zu Kunstwerken | Ingo Günther
4 Die zu überkommende Leere | Soichiro Mihara
Teil 2
Frage aus dem Publikum
Nachwort | Takashi Serizawa
Profile
Das Subjekt Erde wandelt und entwickelt sich stetig weiter, und erfordert daher immer wieder neu betrachtet, begriffen und verstanden zu werden — in ständiger Bewegung, nicht nur als Planet im Sonnensystem, sondern auch in unserer Wahrnehmung, technologisch und ideologisch. Die Menschheit hat ein sehr großes, wachsendes, wenn auch unausgewogenes und ungleich verteiltes Wissen über die Erde – meistens ohne Sinn für Dimensionen und Proportionen.
Das Wünschenswerte, das Richtige, das Natürliche, das Erstrebenswerte — auch das hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Die Prognosen des „Club of Rome“ („Grenzen des Wachstums”, 1972) haben sich entweder als falsch, oder aber als effektive Warnungen erwiesen. Die Ängste, Befürchtungen und Kritik, die die meisten Menschen den dunklen, alarmierenden Meldungen der Medien entnehmen, sind mit großer Sicherheit an der Realität vorbei gefürchtet: die wahrscheinlich größten Gefahren bleiben jenseits des politisch sozialen Narrativs.
Oswald Spengler versuchte sich an einer Morphologie der Geschichte, in der Hoffnung, Geschichte zugänglich zu machen, indem er sie als quasi drei-dimensionalen Körper zeichnete, sodass wir strukturelle Ähnlichkeiten und Parallelen zur Gegenwart entdecken können. Seit dem 15. Jahrhundert gibt es die ersten Modelle der Erde, — skulpturale Repräsentationen als Globus im praktisch unbenutzbaren Maßstab von 1:40 Millionen, aber auf menschliche, emotional handliche Dimension gestutzte 30 cm Durchmesser. Vor allem aber haben wir Gedanken- und Interpretationsmodelle, Ideen, Ideologien und Geschichten der Erde, Entstehungsgeschichten und extrapolierte, verheißungsvolle als auch (oft gleichzeitig) dystopische Zukunftsvisionen.
Allein die physische Dimension der Erde ist jenseits menschlicher Perspektive und menschlichen Fassungsvermögens. So denken wir gern in simplen, handlichen 30 cm großen Modellen. Die ersten Menschen, die die Erdkrümmung mit eigenen Augen sahen, waren amerikanische Piloten des legendären U2 Spionageflugzeugs in den 1950er Jahren.
Seit Jahrtausenden ist sie ein Mysterium und eine Herausforderung, immer in flux, immer sind die Menschen gerade an einem Punkt angelangt, an dem sie glauben, nun endlich die Totalität und Komplexität ausreichend verstanden zu haben. Wir haben Landkarten und Globen, detaillierteste Satellitenaufnahmen, Ozean-Bathymetrie — und doch ist die Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen. Neue Kontinente werden zwar nicht mehr entdeckt, aber das Erforschen, Vermessen und Kartographieren geht unaufhörlich weiter und liefert ein immer tieferes, detaillierteres und komplexeres Bild und Verständnis des Planeten.
Wenn wir von der Erde sprechen, sprechen wir vom Globus, den Landmassen, aber auch von der Krume, die den kleinen sechsten Teil biologisch aktiver kontinentaler Masse der Gesamtoberfläche ausmacht, und auf dem Ackerbau, Wälder und Leben auf dem Land und in der Luft überhaupt erst möglich ist. All das ist Erde — ein Begriff, der im Laufe der Zeit irgendwann auch mal fast alles bedeutet hat.
Die Etymologie des Begriffes „Erde” in anderen Sprachen deutet sie als Ausgangspunkt, Geburtsplatz vom jeweiligen „uns", unserem Stamm. Sie ist die Mutter von uns und allem. Gleichzeitig aber ist „die” Erde heute synonym mit globaler Realität, der Totalität und Finalität unseres gemeinsamen Bedingungszusammenhangs. Ihre sphärische Form trägt eine Ahnung bis hin zur Forderung von Perfektion: Erde ist gleichzeitig Mythos und spürbare Autorität der Natur.
Die konzeptionelle Erfassung und darauffolgende Eroberung der Erde beruht auf einem Mess- und Projektionskonzept, sie ist gleichzeitig Abbild und Funktion der Wissenschafts- und Technologiegeschichte. Eratosthenes vermaß und berechnete die Form und Größe des Planeten, und erfand das Koordinatensystem vor 2200 Jahren. Den Koordinaten muss sich seither jeder Ort beugen — der Planet Erde und die Realität der Welt wird der Erdvorstellung teleologisch unterjocht. Ihre Oberfläche hat diese Formen reflexiv angenommen: Grenzziehung entlang der Längen- und Breitengrade (USA/Kanada, Nord/Süd Korea, Parzellierung weiter Flächen Amerikas durch das Jeffersonian Grid seit 1748, künstliche Inseln). Das kartesische Verständnismodell hat sich über 2000 Jahre hinweg in die Erde eingekratzt: Das Konzept konditioniert die Wahrnehmung, und diese die Realität.
Auf diese Weise haben sich westliche Eroberer die Welt untertan gemacht — die mathematische Grundlage eines monotheistisch-globalen „Manifest Destiny“. Der Globus erweist sich als westliche Erfindung, als Totalitätsperspektive, die Dingwerdung der Überzeugung, dass alles messbar und erfassbar ist — ein Konzept, das asiatischen Denkern nicht nur wegen seiner Eindimensionalität suspekt vorkommen musste. Dass diese reduktionistische Sichtweise dann doch so unverschämt erfolgreich wurde, ist ein schockierender Status quo, auf dessen eventuelle Korrektur die Masse der Menschen zu hoffen scheint, ohne eine konkrete Vorstellung von dem zu haben, wie das aussehen und funktionieren könnte.
Die Eroberung der Erde geht weiter, die technologische Entwicklung und damit Erfassung der Erde bleibt nicht stehen. In den letzten Dekaden hat sich die ausgelotete Erde spürbar und radikal verändert: Neue Fronten tauchten auf, Überflutungen, Überfischung, submarine Bodenschätze machen den Ozean zur Konfliktzone. Selbst geopolitisch verschieben sich die Konstellationen: China rückt in den Sommermonaten dank der inzwischen weitgehend eisfreien Nordostpassage durch russische (EEZ) Hoheitsgewässer 6 000 km näher an Europa — 30% kürzer als die Route durch den Suezkanal. 2007 schon montierte Russland seine Nationalflagge in 3 000 m Tiefe auf dem arktischen Meeresboden. Das schmelzende Packeis erlaubt Zugang zu riesigen Ölreserven unter dem arktischen Ozeanboden. Eine rasante sensorische und messtechnische Entwicklung hat die detaillierte Erforschung der Ozeanböden ermöglicht. Der Ozean ist nicht mehr Pufferzone, sondern die Frontlinie territorialer Konflikte. Die chinesische ADIZ (November 2013) ist ein weiteres Indiz. Kanada beansprucht seit Dezember 2013 zusätzliche 1,7 Millionen km² Meeresboden. Ozeanterritorien verschieben ökonomische Jurisdiktionen in neue Dimensionen. Frankreich ist die zweitgrößte Maritim-Nation, gleich hinter den USA.
Japans ökonomische Jurisdiktion ist etwa so groß wie die Landmasse Indiens.
Ozean-Konflikte (Asien, Arktisches Meer) sind ohne die Entwicklung dieser Sensor-Technologie nicht denkbar, da sie eine extrem akkurate Kartographie des Meeresbodens und der Meeresbodenschätze ermöglicht. Das Verwendungsmonopol dieser Sensorik lag bisher ausschließlich beim Militär und einigen großen Ölfirmen. Inzwischen können nicht nur Google-User das 100-fache an Satellitenbildschärfe kostenfrei und konsequenzlos genießen, was noch vor 25 Jahren als Bruch nationaler Sicherheit galt und mit Gefängnis bestraft wurde. Am 14. August 2014 wurde ein Satellit erfolgreich ins All geschickt, der nunmehr Objekte von 12 Zoll ausmachen kann — also einen Tischglobus, großen Teller oder einen gut behaarten Kopf als Punkt. Mithin ist das 1000-fache ehemals grenzlegaler Auflösung (1980, Carter Directive) nun in eifrigen Händen kommerzieller Firmen. Und die Sonarausleuchtung des Meeresbodens ist nicht mehr das Privileg von Dr. No und Co.
Ob die Menschheit mithilfe immer neuerer Sensorik und Visualisierung die als solche wahrgenommenen Probleme des Planeten lösen kann, ist zweifelhaft. Dennoch versuche ich mit etwas Optimismus zu behaupten, dass die künstlerisch-journalistische demonstrative Anwendung dieser Technologien etwas fundamental Demokratisches und Edukatives haben. Meine künstlerisch-journalistischen Arbeiten, deren Großteil sich mit dem Konzept des Planeten Erde und der Erd-Wirklichkeit aus allen möglichen Perspektiven auseinandersetzen, wären sonst nicht viel mehr als eine 25- jährige Fleißarbeit.
Und in Anbetracht der überwältigenden Herausforderungen planetarer Technologien jenseits menschlicher Dimension empfahl Heidegger schon vor 50 Jahren Gelassenheit.
Am 12. April 1961 bestieg Yuri Gagarin, Leutnant der russischen Luftwaffe, das Raumschiff „Wostok 1”, und umkreiste damit einmal die Erde. Die Umrundung verlief nicht problemlos, bot der Menschheit aber die erste Gelegenheit, ihren Planeten von außen zu sehen. Meiner Meinung nach war dies von unschätzbar großer Bedeutung. Der Mensch ist ein Lebewesen, das heute als Produkt der Evolution die Erde bewohnt, und in diesem Sinne Teil dieses Planeten ist. Dieser Teil hat nun zum ersten Mal die Erde – also quasi sich selbst – von außen betrachtet, was unserem Bewusstsein gewiss den Anstoß dazu gab, in globaleren Dimensionen zu denken.
Es besteht ein großer Unterschied zwischen der Art, wie wir uns Dinge vorstellen, und der Art, wie wir diese Dinge mit eigenen Augen wahrnehmen. Die Sicht auf die Erde, die Gagarin allein vom Weltall aus hatte, sickerte dank zahlreicher Film- und Fotoaufnahmen schnell in unser Alltagsleben, und wurde für uns Menschen dadurch zu einem vertrauten Anblick. Es ist das Bild eines wunderschönen, aber winzigen, im Tiefschwarz des Weltalls schwebenden, Planeten.
Ich erinnere mich noch daran, wie meine Mutter am 17. Oktober 1964 in der Küche stand und eifrig Kohl putzte. Als ich sie fragte, warum sie ihn so sorgfältig putzt, erklärte sie mir: „Die Chinesen haben Atomtests gemacht, und wir wollen doch kein Gemüse mit Todesasche essen. Pass’ bei Regen auf, dass du nicht nass wirst, sonst fallen dir die Haare aus!”
Ich war 13, und China, mit dem Japan zu der Zeit keine diplomatischen Beziehungen unterhielt, war für uns ein fernes, fremdes Land. Und doch hatten diese fernen Geschehnisse zur Folge, dass meine Mutter in der Küche stand und fieberhaft Kohl putzte. Ich fand diese Verbindung seltsam, und fühlte zum ersten Mal, dass die Welt ein zusammenhängender Ort ist.
Zu jener Zeit haben wohl alle begonnen, sich dieselben Sorgen zu machen. In die Umwelt freigesetztes DDT könnte ins Ökosystem eindringen, sich in der Nahrungskette konzentrieren, und letzten Endes die gesamte Erde verseuchen. Zwei Jahre vorher, im Jahr 1962, hatte die Biologin Rachel Carson eine Warnschrift verfasst, in der sie einen „stummen Frühling” voraussagte – einen Frühling, in dem keine Blumen blühen, und keine Vögel singen.
Es ist höchst interessant, wie uns die Globalisierung des Bewusstseins zugleich die Endlichkeit unserer Erde vor Augen geführt hat.
Die Reise geht weiter. Am 20. August 1977, zum Beispiel, startete die Raumsonde „Voyager 2”. Sie näherte sich dem Jupiter am 9. Juli 1979, Saturn am 25. August 1981, Uranus am 24. Januar 1986, und Neptun am 24. August 1989. Die Dauer dieser Fahrt der „Reisenden” deckt sich auf eigenartige Weise mit dem Jahrzehnt der achtziger Jahre. Die Aufnahmen, die „Voyager 2” zur Erde sendete, verdeutlichten uns die Existenz eines größeren Sonnensystems, zu dem auch unser Planet gehört. Im Verlauf dieses einen Jahrzehnts haben wir also eine neue Vorstellung vom Planeten Erde als Teil im großen Gefüge des Universums gewonnen. Nachrichten von anderen Planeten außerhalb des Sonnensystems erschienen hier und da in den Achtzigern, und rütteln seither immer wieder an unserem Bewusstsein. Als Teil des Sonnensystems betrachtet, war die Erde nur ein unbedeutend kleines Etwas. Bis am 26. April 1986 ein Reaktor in Tschernobyl explodierte...
In der jüngeren Vergangenheit gab die NASA bekannt, dass das Schwesterschiff „Voyager 1” am 25. August 2012 das Sonnensystem verlassen hat. Die „Voyager 2” würde wohl in Kürze folgen. Ich bin nicht auf eine tiefere Bedeutung aus, aber zu jener Zeit hatte Japan das Erdbeben am 11. März 2011 erlebt, und arbeitet bis heute daran, die Situation in Fukushima nach dem GAU zu normalisieren.
Die Reichweite unseres Bewusstseins wird immer größer, wobei uns allerdings ironischerweise – oder vielmehr, natürlicherweise – unsere eigene Winzigkeit immer deutlicher wird, je mehr sich unser Bewusstsein ausweitet. Wie mittlerweile jeder auf die eine oder andere Weise bemerkt haben wird, ist die Erde nicht unendlich. Es ist eine Welt mit Grenzen, und dennoch klammert sich unsere Gesellschaft ungeachtet dieser Tatsache an den bodenlosen Glauben an „Wachstum ohne Ende”, der auf der Vorstellung unerschöpflicher Naturressourcen und Märkte, und einer endlos duldsamen Umwelt basiert. Ist nicht diese falsch geknöpfte Einstellung das eigentliche Hauptproblem, mit dem wir es heute zu tun haben?
Wenn wir nun nochmals die Erde als Teil des Weltalls betrachten, sehen wir einen winzigen Planeten mit materiellen Grenzen, der von der Sonne die nötige Energie für diverse Aktivitäten bekommt, während überschüssige Hitze ins Weltall entsorgt wird. Mit anderen Worten findet hier ein Stoffwechsel der Energie statt. Materie ist dabei größtenteils endlich, wird jedoch in verschiedener Form wiederverwertet, und dreht so ihre Runden auf der endlichen Welt. Wenn wir unser Augenmerk auf den Prozess der Erde als Ganzes richten, gibt es absolut keinen Grund, den Aspekt der Endlichkeit so pessimistisch zu sehen. Vielmehr haben wir genau jetzt die Gelegenheit, vom tiefgreifenden Ideal eines auf dieser Endlichkeit aufgebauten Betriebssystems einer völlig neuen menschlichen Gesellschaft zu träumen. Ich persönlich sehe darin eine neue, große Chance.
Nachdem wir unser Bewusstsein bis ins Weltall geschossen haben, ist es nun an der Zeit, es wieder zurück zur Erde zu holen. Mir scheint, es ist für uns eine Zeit gekommen, in der wir uns darüber Gedanken machen sollten, was es bedeutet, auf diesem Planeten als Teil des Universums zu leben. Bei aller Universalisierung des Bewusstseins plädiere ich dafür, es wieder auf die Erde hier unter unseren Füßen zu richten.
Seit dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren wächst das Universum kontinuierlich. Innerhalb des gesamten Weltalls können wir, so heißt es, einen sphärischen Bereich mit einem Radius von etwa 45 Milliarden Lichtjahren um die Erde als zentrales Objekt wissenschaftlich erfassen. Wir sind heute in der Lage, selbst die am weitesten von der Erde entfernten Orte darin – also diejenigen auf der Oberfläche der Sphäre – zu beobachten, allerdings sehen wir in dem Fall nur, wie es dort vor 13,8 Milliarden Jahren aussah. Warum? Weil das Licht von der Oberfläche der Sphäre aus sehr lange unterwegs ist, bis es die Erde erreicht. „Beobachten” heißt nichts anderes, als dieses Licht zu empfangen. Da das Licht von der Oberfläche der Sphäre 13,8 Milliarden Jahre benötigt, um die Erde zu erreichen, ist das, was wir am Ende sehen, ein Bild des Universums vor 13,8 Milliarden Jahren. Es zeigt uns jedoch nicht den Anfang des Universums, sondern einen Zustand etwa 380 000 Jahre nach dem Beginn des Urknalls. Davor war der Weltraum voller herumfliegender Elektronen, die eine geradlinige Übermittlung des Lichts verhinderten. Dadurch entstand eine Art Nebel, in dem das neugeborene Universum vorerst versteckt blieb und sich somit unserer Erforschung entzog. Durch Experimente mit Teilchenbeschleunigern haben wir allerdings die Möglichkeit, uns ein Bild vom Zustand des Universums kurz nach seiner Entstehung zu machen.
Dieser „sphärische Bereich mit einem Radius von 45 Milliarden Lichtjahren” ist gleichbedeutend mit den derzeitigen Ausmaßen des „wissenschaftlich erfassbaren” Universums. Wie sieht es dann außerhalb dieser Sphäre aus – also in dem Bereich, den wir nicht erfassen können? Natürlich betrachtet liegt der Gedanke nah, daß sich der Raum im Inneren der Sphäre auch außerhalb unverändert fortsetzt. Die Frage ist hier, wie weit er sich fortsetzt. Wir können dies nicht durch Beobachtung erfahren, doch im Vergleich zum gesamten Weltall ist der „sphärische Bereich mit einem Radius von 45 Milliarden Lichtjahren” mit Sicherheit nicht mehr als ein winziger Fleck. Warum wissen wir das? Der für uns sichtbare Teil des Universums ist sehr homogen, aber die Natur ist ursprünglich von ungleichmäßiger Beschaffenheit. Wenn sich das gesamte Universum weit über den für uns sichtbaren Teil hinaus erstreckt, werden durch diese Ausbreitung auch die Unebenheiten geglättet, was zur Folge hat, dass in dem für uns erfassbaren Bereich keine Ungleichmäßigkeiten mehr sichtbar sind. Daraus können wir schließen, dass das „wissenschaftlich erfassbare” Universum nur einen kleinen Teil des gesamten Weltalls ausmacht. Dieses gigantische Raum-Zeit-Gebilde stellt das durch die Astronomie definierte Bild des Universums dar. Wenn wir an Orte oder Begebenheiten denken, die weit entfernt von unserer Erde oder in unvorstellbar ferner Vergangenheit liegen, bewegen wir uns außerhalb des Wahrnehmbaren, und sogar außerhalb des naturwissenschaftlich abdeckbaren Bereiches. Wie weit bringt uns nun die Naturwissenschaft genau, und welche Geheimnisse können wir am Ende durch sie lüften?
Lassen Sie mich an dieser Stelle eine ultimative Frage formulieren: Warum besteht die Welt aus Etwas, und nicht aus Nichts? Lange bevor die Naturwissenschaft uns das oben beschriebene Bild des Universums gezeichnet hat, wurde diese Frage immer wieder in philosophischen Kreisen gestellt. Sie überschreitet den Bereich der Naturwissenschaft, und niemand kann sie beantworten. Wenn wir über den Hintergrund dieser Frage nachdenken, erkennen wir, dass wir die Kausalität der Welt – also den Gedanken, dass „alles eine Ursache hat, und zugleich die Folge von etwas ist” – als Grundvoraussetzung verinnerlicht haben. Denn es ist diese grundlegende Vorstellung, dass „alles eine Ursache hat”, aus der unsere Frage nach der „Ursache der Entstehung des Universums” hervorgeht.
An diesem Punkt erkennen wir einen möglichen Widerspruch. Die ursprüngliche Ursache in der Kette der Ursachen und Folgen hat selbst keine Ursache, und ist somit nicht Gegenstand der Kausalität. Wenn wir also die Existenz von etwas akzeptieren, für das Kausalität keine Grundvoraussetzung ist, wird es plötzlich fraglich, ob die auf dem Gedanken der Kausalität beruhende Frage, warum die Welt aus Etwas und nicht aus Nichts besteht, überhaupt Gültigkeit besitzt. Nehmen wir einmal an, die Antwort auf diese Frage lautet „Es gibt keine Ursache” – wären wir dann in der Lage, dies als Antwort zu akzeptieren? Immerhin hat kein Mensch jemals etwas erlebt, von dem man sagen kann, es habe „keine Ursache gehabt”.
Die neuesten Erkenntnisse der Naturwissenschaft deuten auf die Möglichkeit hin, dass das Universum größer ist, als wir geistig nachvollziehen können. Die Naturwissenschaft vermag es nicht, uns die Welt vollständig zu erklären. Vielmehr weitet sie die „uns unbekannte Welt” immer weiter aus. Das für selbstverständlich gehaltene Prinzip der Kausalität gilt nicht für das Universum, und stellt vielleicht nichts weiter als eine Grenze unserer Intelligenz dar. Die Naturwissenschaft macht uns klar, wie ungeheuer winzig der Umfang menschlichen Wissens in zeitlichem, räumlichem und auch intellektuellem Sinne in der Tat ist. Der Mensch ist stets Teil des Prinzips des Universums, und wird die Dinge wohl niemals von einer Position außerhalb dessen betrachten können. Es gibt keinerlei Gewährleistung dafür, dass die Welt so geschaffen ist, dass der Mensch sie begreifen kann. Es sind nicht etwa nur Begebenheiten am „Rand des Universums”, die wir niemals verstehen werden, sondern womöglich selbst Dinge, die unmittelbar um uns herum geschehen.
Was wird es uns bringen, wenn wir, ausgehend von dieser Erkenntnis, noch einmal uns selbst und die Erde als naheliegendster Teil der Außenwelt fühlen? Oder vielmehr, können wir uns nicht zuerst vom Streben nach solchen Ergebnissen befreien, und damit beginnen, das Gefühl, „jetzt und hier zu sein”, mit Leidenschaft zu fühlen? Was können wir überhaupt fühlen, wenn unsere Gedanken auf die Erde zurückkehren, nachdem sie von der Wissenschaft in ferne Regionen oder zurück in die Zeit der Entstehung des Universums entführt wurden? Und können wir diese Gefühle mit anderen teilen? Die Rolle des wissenschaftlichen Denkens ist vielleicht die eines Vorpostens, der das Teilen solcher Gefühle ermöglicht.
„Weltraum-Würfel”
In einem Behälter aus Glas befinden sich 23 Würfel. Selbst wenn man den Behälter jede Sekunde einmal schüttelt, dauert es im Durchschnitt etwa so lange wie das Bestehen des Universums vom Urknall bis zum heutigen Tag, bis alle Würfel eine Eins zeigen.
Es gibt verschiedene Formen kreativen Schaffens. Viele Menschen – mich selbst eingeschlossen – sind täglich in irgendeiner Weise kreativ tätig. Da sind auf der einen Seite konkrete materielle Produkte, auf der anderen Seite aber auch Dienstleistungen, Systeme und Regeln, die wir kreieren. Manche Geschenke der Natur tauschen wir gegen Leben ein, andere auf der Erde existierende Substanzen benutzen wir als Rohstoffe beziehungsweise Energiequellen für unser Schaffen. Es gibt einerseits tauschbare Waren und andererseits Produkte, die wir nur für uns selbst und nahestehende Personen (zum Beispiel zum Abendbrot) daheim zubereiten. Hinsichtlich des Schaffensprozesses mag der Umfang unserer persönlichen Beteiligung eher gering sein, jedoch kann das Feedback und Einverständnis mehrerer Individuen größere Kraft erzeugen.
So wie sich Mensch und Natur ständig verändern, befindet sich auch kreatives Schaffen offensichtlich in stetigem Wandel. Wenn Sinn und Zweck kreativer Tätigkeit nicht mehr klar erkennbar sind, ist diese meiner Meinung nach zum Aussterben verurteilt, wobei allerdings manche, die nicht direkt zum Leben erkoren sind, in Form von schwer konvertierbaren gemeinschaftlichen Werten weiter zu existieren scheinen. Als Grund dafür sehe ich eine Wiederherstellung der Vielfalt in der Gesellschaft, und in dieser Vielfalt sehe ich eine Komplexität, die die Mannigfaltigkeit der Welt direkt wiederzugeben scheint.
Selbst wenn diese reiche Vielfalt in Worten ausgedrückt wird, und selbst wenn wir dies mit der Zeit verstehen, erfahren wir hier nur etwas über die Vergangenheit. Wenn wir uns verbal in der Vergangenheit bewegen, kommen wir im Diskurs über die Zukunft zu spät. Wir alle schwelgen in Erinnerungen an die gute alte Zeit, aber diese wird nicht wiederkehren. Ich möchte aus dieser Vergangenheit viel lernen, um mich zugleich reibungslos und ohne zu zögern nach vorne bewegen zu können. Methoden zur Suche nach der Vielfalt der Zukunft befinden sich meiner Meinung nach an einem nicht konkret definierten Ort. Was wir mit Sicherheit denken, drückt sich nämlich nicht vorher in Worten aus, wenn wir über die Zukunft sprechen. Wir kommen erst weiter, wenn wir die sich ändernden Verhältnisse der Dinge, mit denen jeder von uns hier und jetzt individuell konfrontiert ist, fühlen und darüber nachdenken. Ich halte die Existenz solcher für jeden von uns verfügbarer „Freiräume“ für äußerst interessant.
Nur wenn wir diese Freiräume in völliger Freiheit erforschen, so scheint es mir, öffnet sich die Tür zum Fortbestehen, denn ich denke, dass uns die fragende Untersuchung gegenwärtiger Korrelationen die nötige Geschwindigkeit und Methoden für die Überlieferung der Vielfalt garantiert.
Ich sehe meine eigene Kunst als Teil dessen, das fortbesteht, und möchte an dieser Stelle meine Gedanken der letzten Jahre kurz zusammenfassen. Vor drei Jahren wurde es mir unmöglich, meine kreative Arbeit mit derselben Einstellung anzugehen wie bisher. Genauer gesagt, wäre ich vielleicht in der Lage gewesen, aber ich habe mich mit Absicht für einen einstweiligen Stopp entschlossen. Allerdings kam es genauso wenig in Frage, meine kreative Arbeit endgültig einzustellen, denn nicht Aufgabe sondern Veränderung schien mir ein notwendiger Schritt zu sein. Ich weiß nicht genau wann, aber an einem bestimmten Punkt kam mir der Spruch in den Sinn, dass weder die Starken noch die Schlauen überleben, sondern die Geeignetsten. Für jemanden wie mich, der sich weder für stark noch für schlau hält, war die „Eignung“ die einzige Hoffnung. Aber woran wird in diesem Fall gemessen, ob man geeignet ist, oder nicht? Also machte ich mich auf die Suche nach Gelegenheiten zur Einschätzung meiner Eignung.
Etwa zur gleichen Zeit begann ich, mich zu fragen, ob es Methoden zur Erfassung von etwas gibt, das das Leben eines Menschen in Größe und Komplexität weit übersteigt. Ich fing an, eine bestimmte Position auszuloten, von der es mir möglich wäre, meine Einstellungen zu althergebrachten, allgemeingültigen Auffassungen und Sichtweisen der Erde und des Lebens nach Belieben in meine Werke einfließen zu lassen. Das Ziel meiner Arbeit ist es, Gelegenheiten zu erlangen, über den Menschen und sein Verhalten nachzudenken, das eine Verwischung der Grenzlinien zwischen solchen Begriffen wie Technologie und Natur mit sich führt. Während viele Technologien ihren Ursprung im militärischen Bereich haben, und/oder mit dem Image behaftet sind, postmodernen Fortschritt und Kapitalismus zu repräsentieren, sehe ich ihren Ursprung in kleiner, aber starker persönlicher Wissbegierde hinsichtlich der Ehrfurcht vor Leben und übersinnlicher Existenz. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf widme ich mich meinem eigenen kreativen Schaffen, das sich der aus unterschiedlichen Distanzen im Alltag präsenten Medientechnologie bedient.
Ich sehe in der Kunst etwas, das sich bis zu dem gegenwärtigen Punkt entwickelt hat, indem es nicht nur Autoritäten, Retina und Trommelfell gefällt, sondern darüberhinaus vorgefertigte Ideen in Frage stellt. Glücklicher- oder unglücklicherweise kann heutzutage alles als Kunst durchgehen. Ich richte meine Augen lieber auf die Zukunft der Kunst, als dass ich ihre durch die Geschichte bestimmte Form nachzeichne. Meine Idee hierbei ist es, das fundamentale Umfeld meiner Existenz nicht als Objekt metaphorischer Illusion, sondern als eine Art Miniaturgarten zu benutzen, der die Welt in ihrem schwankenden Zustand widerspiegelt. Durch die Anwendung der durch die Kunst kultivierten nonverbalen, integrativen körperlichen Kommunikation in Bereichen außerhalb der Kunst beabsichtige ich, ein kleines Modell zu erstellen, mit dem die Welt proaktiv erfasst werden kann, anstatt sie als etwas Vordefiniertes und Vorgeordnetes zu konsumieren. Neben der Sprache halte ich daher einen klaffenden freien Raum für notwendig, der eine ausgiebige Ergründung des Hier und Jetzt ermöglicht. So klein und erbärmlich ein Verhalten im Glauben daran auch sein mag, ist es meiner Meinung nach doch ein überaus vielfältiges und friedvolles.
„ Die zu überkommende Leere"
Diese Installation, die mit Hilfe einer Luftpumpe, einem Leistungssteuerungs-Schaltkreis, Wasser, Seifenlauge, Glyzerin, Ethanol und Strom „Schaum” in einem Innenraum erzeugt, ist Teil des „Leere” Projektes, welches der Künstler 2011 ins Leben rief. Die „Leere”, die Thema dieses Projektes ist, stellt einen Raum für aus künstlerischer Sicht unbeantwortete Fragen, und eine sich ständig verändernde, ungreifbare „Dimension” dar.
„ Glocke”
Auf der Erde existiert zu jeder Zeit eine gewisse radioaktive Strahlung. Ich habe mich gefragt, wie dieses nicht wahrnehmbare Phänomen klingen würde, wenn wir es hören könnten. Durch Zufall erfuhr ich, daß Windglöckchen ursprünglich zur Beseitigung negativer Schwingungen dienten, und verband daraufhin eine Strahlendetektor-Schaltstelle mit einem Windglöckchen. Die Glasabdeckung hält Wind ab, und deutet zugleich auf heutige Methoden der Entsorgung hin, wonach immer noch Töne zu hören sind (also Energie freigesetzt wird).
Hideyuki Ozawa
Führer für Sternenhimmel-Touren
Ich verlegte 1989 meinen Wohnsitz nach Neuseeland, wo ich seit 1994 Sternwanderungen anbiete, und heute jährlich 15 000 – 20 000 Besuchern aus aller Welt den Sternenhimmel über Tekapo zeige. Die Menschen in Neuseeland sprechen von „Astro-Tourismus”, wobei der Sternenhimmel als größte Attraktion dient.
Tekapo ist ein kleiner Ort mit 300 Einwohnern auf der südlichen Insel Neuseelands. Das im Becken eines Gletschersees gelegene Erholungsgebiet ist bekannt für seine nächtliche Dunkelheit, und zugleich für den wolkenärmsten Himmel Neuseelands. Was vor 20 Jahren als Beobachtung des Kreuzes des Südens mit 4 bis 5 Personen begann, wurde zu den heutigen Sternwanderungen. Teilnehmer können auf diesen Touren unter anderem das Kreuz des Südens in der Milchstraße, sowie die große und kleine Magellansche Wolke betrachten.
Im Norden von Tekapo liegt das Mount John Observatory der University of Canterbury. Im Jahr 2004 startete die Universität Nagoya hier das MOA Projekt zur Beobachtung von Himmelskörpern, die kein Licht abgeben. Meine Firma Earth & Sky ist an Projekten beteiligt, die die Entdeckung von schwarzen Löchern und Planeten außerhalb des Sonnensystems zum Ziel haben.
Im Jahr 2000 wurde auch Tekapo von einer Welle der Sanierung erfasst, die unsere Arbeit bedroht. Die städtebaulichen Pläne sehen vor, dass das Dorf um das 20-fache wächst und zu einem Urlaubsort mit 6 000 Einwohnern wird. Der natürliche Feind des Sternenhimmels ist Licht. Die Lichtverschmutzung hat bereits begonnen, denn schon jetzt spiegeln sich die Lichter des Nachbarortes hinter den Bergen in den Wolken, und erhellen so den Nachthimmel. Ebenso erreicht das Scheinwerferlicht der zunehmenden Anzahl von Fahrzeugen die Sternwarte selbst aus 10 Kilometern Entfernung. Sollte die bauliche Erneuerung nach Plan fortgesetzt werden, wird sich die Lage weiter verschlimmern. Diese Pläne haben mich zum Start meiner Aktivitäten mit dem Ziel, den Sternenhimmel als Weltnaturerbe anzuerkennen, und damit die natürliche Umgebung Tekapos zu schützen, bewogen.
Die Sterne geben jungen Menschen in Tekapo Kraft, und inspirieren ältere Menschen dazu, auf ihr Leben zurückzublicken. Hier ist es möglich, die Weiten des Weltalls hinter dem Polarlicht zu erleben, und von dort aus über die Erde nachzudenken.
Jun Kosaka
Grafikdesigner
Während ich unter unterschiedlichen Berufsbezeichnungen arbeite, habe ich an dieser Veranstaltung als Designer teilgenommen. Ich möchte Ihnen hier daher einige meiner Design-Projekte vorstellen, die sich in verschiedenster Weise mit dem „Weltall” beschäftigen.
Das „Diagram of Our Universe” besteht aus einer Zeitachse (vertikal) und einer Raumachse (horizontal). Der heute wissenschaftlich messbare Teil des Universums hat einen Radius von etwa 45 Milliarden Lichtjahren um die Erde als zentrales Objekt. An den schnellsten Punkten innerhalb dieses erfassbaren Bereiches beträgt die Geschwindigkeit der räumlichen Ausdehnung mehr als das dreifache der Lichtgeschwindigkeit. Die Erstellung dieses Diagramms hat mein eigenes Interesse an wissenschaftlichen Erkenntnissen geweckt und an Fragen wie „Warum besteht die Welt aus Etwas, und nicht aus Nichts?”
Ich habe dann allerdings erkannt, dass die Wissenschaft nicht etwa versucht, die Ursachen der Existenz des Universums zu ergründen, sondern nur die Prinzipien erklären will, auf denen das Universum basiert, was mein Interesse auf philosophische Aspekte gelenkt hat.
Meine nächste Arbeit, das „Diagram of the Solar System”, war ein Versuch, die Beziehung zwischen Mensch und Universum in der Form eines Posters auszudrücken, wobei ich antike babylonische und ägyptische – also vorwissenschaftliche – Vorstellungen des Weltalls mit einbezogen habe. Diese Weltbilder schienen mir fruchtbarer als die wissenschaftlichen Erklärungen der Welt.
Die Abbildung der „Weltraum-Würfel” zeigt 23 Würfel in einem Glasbehälter. Wenn man den Behälter jede Sekunde einmal schüttelt, kommt es nur etwa alle 6²³ (also ca. 25 Milliarden) Jahre vor, dass alle Würfel eine Eins zeigen. Dies entspricht in etwa der Zeitspanne vom Urknall bis zum heutigen Tag.
„VIT2.0” ist ein Simulationsspiel, in dem sich der Spieler im virtuellen Raum eines Mini-Ökosystems bewegt und durch die natürliche Nahrungskette von einer Figur zur anderen wandert. Wenn der Spieler gefressen wird, wird er beispielsweise als Dung auf dem Boden verstreut, und kann sich nicht mehr selbst bewegen. Daraus wächst dann eine Pflanze, die Früchte trägt, welche wiederum gefressen werden, was als Voraussetzung für eine erneute Fortbewegungsmöglichkeit des Spielers dient. Der Blickwinkel des Spiels wechselt dabei auf dynamische Weise von einer menschlichen Perspektive zu derer der Elemente, um die das System zirkuliert. Solch fremde Perspektiven sind meiner Meinung nach die Stärke der Wissenschaft.
Der dynamische Wechsel zwischen unterschiedlichen Perspektiven ist ein zentrales Thema, das allen diesen Arbeiten zugrunde liegt. Im gigantischen Raum-Zeit-Rahmen zwischen Mikro und Makro pendelnd, dreht sich alles um die Frage, warum das Universum existiert.
Das „地球” (Erde) Logo für dieses Projekt enthält in Wahrheit die Kanji-Zeichen für das japanische Wort chikyu (Erde, Erdkugel) in unvollständiger Form. Es ist eine Kombination der auf ihre gemeinsamen Elemente reduzierten Kanji „地” (chi: Erde, Boden) und „球” (kyu: Kugel) – zwei Schriftzeichen mit völlig unterschiedlichen Formen und Bedeutungen. Es ist meiner Meinung nach genau diese Kombination widersprüchlicher Begriffe, die unser Verständnis der Welt widerspiegelt.
Ingo Günther
Künstler
Ich möchte Ihnen hiermit anhand von vier Arbeitsbereichen einen kurzen Überblick über meine Arbeit geben, die während der letzten 25 Jahre auch in Japan wahrgenommen wurde:
Der Arbeitskomplex Worldprocessor erfasst die statistischen Realitäten unseres Planeten und stellt diese auf beleuchteten Globen dar. Diese Arbeit wird oft auch als Social-Geography bezeichnet, denn sie befasst sich mit den Auswirkungen menschlicher Existenz auf die Erde und die Interaktion der Menschheit auf globaler Ebene. Es sind über 1000 dieser Globen entstanden, von denen Sie hier ein paar Beispiele sehen können:
Dieser Globus zeigt die vorindustriellen Transportwege, also Handelsrouten über welche die Menschheit bis zur Einführung der Dampfschifffahrt und Eisenbahn vor etwa 200 Jahren miteinander in Kontakt stand.
Dieser Erdball in dieser Arbeit ist mit dem Wort „Erde“ in 80 Sprachen beschriftet. Die Schriftgrößen schwanken dabei proportional zu der Anzahl der Menschen auf der Erde, die die jeweilige Sprache sprechen.
Dieser Globus zeigt die ökonomisch-politischen Hoheitsgebiete, die auch die ‚Erweiterten Exklusiven Wirtschaftszonen‘ auf hoher See mit einschließen. Dies ist ein besonders wichtiges Thema, denn inzwischen wissen wir viel mehr über die Bodenschätze unter der Meeresoberfläche und sind in der Lage diese auszubeuten. Auch Fischerei ist in diesen Gebieten exklusiv, was besonders bedeutsam für zukünftige Ernährungsfragen ist.
In meinem Versuch die Welt zu verstehen entstehen Repräsentationen, die das Verstandene möglichst deutlich darstellen. Dies ist einerseits eine journalistische Herangehensweise, aber auch eine, die künstlerisch-skulpturale Formen annimmt. Globen, so scheint es mir nach Jahrzehnten der Beschäftigung mit dem Thema, sind mehrheitsfähige sympathische Symbole. Entweder als Botschafter einer geliebten und liebevollen Erde oder besorgter Romantik. Auch die Autorität der Natur scheint im Globus symbolisiert zu sein.
Allerdings teile ich nicht die Vorstellung einer friedlichen Natur, die uns dann zurückliebt, wenn wir nett mit dem umgehen, was wir für Natur halten. Die Natur erscheint mir eher als etwas Unbeteiligtes, etwas Fahrlässiges, stoisch-desinteressiert, solipsistisch. Das ist eine Natur, die ihrer eigenen Zerstörung ohne Kuriosität aber auch ohne Panik beiwohnt. Die Frage ist, ob wir durch Intention die Welt verändern oder sogar retten können, wenn sie denn überhaupt gerettet werden muss oder soll.
Jenseits der sozialen Geographie versuche ich, die Erde auch topographisch in den Griff zu kriegen. Zu diesem Zweck habe ich eine überdimensionale Karte angelegt, die den gesamten pazifischen Raum als Horizont abdeckt. 160 m lang - aber nur 10 cm hoch - ist diese Ansicht des "Pacific Rim". Das Bild ist eine synthetische Darstellung aus Höhendaten, die vom Weltraum aus per Radar erfasst wurden. Die resultierende Installation wurde das erste Mal auf der Yokohama Triennale gezeigt.
Das vorletzte Beispiel meiner Arbeit reflektiert meine Faszination mit der Unterwasserwelt, mit den 70% der Erdoberfläche, die unter dem Meeresspiegel liegen. Dieses Gebiet habe ich versucht mittels Echolot akustisch zu erfassen und sichtbar zu machen. Es ist absurd, die Erde als Erde zu bezeichnen, denn eigentlich ist das Wasser das Kontinuum der Weltkugeloberfläche. Auch an dieser verzerrten Nomenklatur ist ersichtlich, dass wir mit einem veralteten Verständnis des Planeten operieren und eine anthropozentrische Perspektive auf diese Welt haben, die wiederum nicht unbedingt hilft, die Erde zu verstehen.
Ein letztes Projekt, Re-Nature, ist der Versuch, direkten Einfluss auf die Gestaltung des Planeten zu nehmen. Es geht um die japanische Küste, die in weiten Teilen in Beton gegossen wurde, um so vor Erosion geschützt zu sein. Re-Nature ist der Versuch, praktische Vorschläge auszuarbeiten, um die Küstenbefestigungen so zu gestalten, dass sie auch ästhetischen Ansprüchen genügt. Es geht also um Schönheit und Wohlgefallen im Sinne etablierter Kulturgeschichte. Es gibt inzwischen so viel Künstliches und so viel von dem, was wir für natürlich halten, ist Konstrukt. Wir könnten also aus dem Künstlichen wieder etwas kreieren, was unserem Bild des Natürlichen entspricht.
Soichiro Mihara
Künstler
Im Jahr 2011 hat sich meine Einstellung zu meiner künstlerischen Arbeit stark geändert. Seit 2013 produziere und zeige ich Arbeiten in Künstlerresidenzen im In- und Ausland.
Nach den Ereignissen in Japan am 11. März 2011 hatte ich das Gefühl, ich sollte als Künstler die komplizierte derzeitige Situation in irgendeiner Form festhalten, an der andere Menschen teilhaben können. Dies führte zum Start meines „Freiraum“ Projekts. Ich möchte Ihnen heute die ersten zwei Arbeiten dieser Serie vorstellen. Mir kam der Gedanke, dass das Gefühl der Leere unmittelbar nach dem Tohoku Erdbeben möglicherweise eine Art Freiraum z.B. für noch ausstehende Antworten darstellen könnte. Seitdem konzentriere ich mich auf die Frage, wie ich die theoretischen und praktischen Versuche, diesen Freiraum kreativ zu nutzen, zur Kunst machen kann.
In dieser Arbeit habe ich die nicht vollständig greifbaren ersten Eindrücke als unendlich großes, sich ständig veränderndes Volumen ausgedrückt. Die elektrisch betriebene Apparatur erzeugt mehr oder weniger permanent Schaum, durch den sich der Betrachter mit noch nicht abgeschlossenen Ereignissen auseinandersetzen kann.
Für dieses kleine System, das je nach Strahlendosis im jeweiligen Ausstellungsraum Töne erzeugt, habe ich eine japanische Windglocke mit einem selbstgebauten Geigerzähler kombiniert. Die Windglocke hat laut Überlieferung ihren Ursprung in einem Instrument zum Erfassen von nicht wahrnehmbaren unheilvollen Elementen, die von jeher als Auslöser von Naturkatastrophen und Epidemien galten. Diese Apparatur animiert zum Nachdenken über unheilvolle Erscheinungen. Dies geschieht vor dem Hintergrund der fortgeschrittenen heutigen Wissenschaft und mithilfe der Phantasie in Bezug auf das nicht Wahrnehmbare.
Meine Arbeit an diesem Projekt hat mein Interesse an „Leben“ allgemein geweckt, woraufhin ich ein Jahr am SymbioticA Kunstlabor der University of Western Australia in Perth verbracht habe. In diesem Labor können Künstler Einrichtungen auf dem Niveau eines Universitätslabors für biologische Praktiken wie Gewebekultur und DNA-Analyse nutzen. Hier habe ich Nachforschungen, Experimente und Diskussionen über Kunst und Biologie mit anwesenden Wissenschaftlern und anderen Künstlern geführt.
Hier habe ich die neue Technologie der Mikroben-Brennstoffzelle, einem System zur Stromerzeugung durch im Boden lebende Mikroorganismen, kennengelernt. Seit dem Erdbeben hatte ich unentwegt über Energiefragen nachgedacht.
Das Erstaunliche ist, dass solche Mikroorganismen im Boden in allen Teilen der Erde leben. Diese Technologie nutzt die Elektronen, die die Mikroorganismen durch ihre Atmung freisetzen, direkt. Daher kann man ohne Energieumwandlung und Schadstoffausstoß fast dauerhaft Strom gewinnen, indem man den Mikroorganismen lediglich einen Lebensraum und Futter zur Verfügung stellt. Das Problem dabei war nur, dass auf der Forschungsstufe nicht mehr als 3W/m produziert werden konnten.
Aber selbst mit dieser geringen Strommenge, so dachte ich, kann man Mikroben-Brennstoffzellen für Kunstinstallationen nutzen, wenn man die Methode von Serieneingang und Parallelausgabe (wie bei Batterien) anwendet. Ein zusätzlicher Anreiz für mich war die Tatsache, dass ich es mit einem relativ neuen Forschungsgebiet zu tun hatte, das es erst seit Ende der 80er Jahre gibt und für das noch keine bestimmte Fabrikationsmethode eingeführt wurde.
Während des Arbeitsprozesses stellte ich mir vor, wie der Mensch selbst als Teil dieses Zyklus der Stromerzeugung zu Energie gemacht wird. Meine Experimente basieren auf der Erkenntnis, dass Exkremente am Ende das Einzige sind, was der Mensch von Mikroorganismen erhält.
Ich habe bisher verschiedene Arten von Sand innerhalb Japans gesammelt, und bin dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass Küstensand in etwa 10 cm Wassertiefe am besten zur Stromerzeugung geeignet ist, da er reich an Eisenmineralen ist. Ich fände es sehr interessant, wenn ich der Erde von Fukushima nicht auf ideologische, sondern auf biologische Weise einen Platz in der Kunst geben könnte.
In meiner künstlerischen Arbeit beabsichtige ich, diese elektrische Energie für eine kleine Lampe zu nutzen. Meine Idee ist es, in meiner Position der minimalen Größenordnung eines menschlichen Individuums zu Newtons „Ausgangspunkt der Wissenschaft“, oder mit anderen Worten, zu solchen Gefühlen wie Ehrfurcht und Wissbegierde über die Natur zurückzukehren.
Die Geschenke der Erde in den Räumen der Podiumsdiskussion:
Es ist in unserem Interesse, die Erde zu einem glücklichen Planeten zu machen, um selbst von ihrem Gedeihen zu profitieren. Zu diesem Zweck widmen wir unsere Diskussion der Erde - indem wir sie fühlen, verstehen, betrachten.
Moderator: Takashi Serizawa
Podiumsteilnehmer: Ingo Günther, Jun Kosaka, Hideyuki Ozawa, Soichiro Mihara
Kommentator: Kenichi Mishima
Frage aus dem Publikum: Mich würde interessieren, wie die einzelnen Teilnehmer die Frage dieser Gesprächsrunde beantworten würden: Wem überlassen wir die Erde?
Soichiro Mihara: Ich sehe nicht andere, sondern mich selbst als einen derer, denen die Erde überlassen wird, und denke, dass dabei jede noch so kleine persönliche Aktion zählt.
Jun Kosaka: Selbst mit den detailliertesten Aufzeichnungen ist es schwierig, Kriegs- und andere Erfahrungen der Nachwelt mitzuteilen.
Ich halte es für wichtig, zusammen zu überlegen, was wir der Nachwelt hinterlassen sollten, und Methoden auszuarbeiten, wie wir dies tun können.
Hideyuki Ozawa: Ich denke, dass die Menschen über verschiedene Kräfte und Mächte verfügen.
Ich glaube, dass die Erde gerettet werden kann, wenn wir diejenigen mit der enormen gesellschaftlichen Macht, Kriege oder Wirtschaftskrisen auszulösen, dazu bringen können, über die Erde nachzudenken, und Ihnen letztendlich den Stab übergeben.
Kenichi Mishima: Die Erde kann nur durch Demokratie gerettet werden.
Allerdings bedeutet Demokratie auch, dass sich Eliten bilden. Auf jeden Fall sollten wir nicht auf diese Eliten vertrauen.
Ingo Günther (über Skype): Ich würde das Ganze nicht so schlimm sehen, denn es gab ja auch schon vor zig Jahren diesen Club of Rome, der mit genau den gleichen Ansätzen, wie wir sie heute haben, die Grenzen des Wachstums gesehen hat, und in diesem Kontext gewarnt hat.
Nur, entweder waren die Warnungen so gut, dass die Erde in eine ganz andere Richtung gegangen ist, oder man war so erfinderisch, dass sich alles wieder geändert hat, denn die meisten dieser schlimmen Prognosen sind einfach nicht eingetreten.
Die Gesprächsrunde „Wem überlassen wir die Erde” fand am Nachmittag des 8. November im Europa-Saal des Goethe Instituts Tokyo statt. Teilnehmer an diesem Tag waren Hideyuki Ozawa, Jun Kosaka, Soichiro Mihara, Kenichi Mishima, sowie, über Video bzw. Skype, Ingo Günther. Ich selbst übernahm die Rolle des Moderators dieser Gesprächsrunde zu einem in der Tat großen Thema. Ziel dieser Veranstaltung war es meiner Meinung nach nicht, auf die Schnelle zu irgendwelchen Ergebnissen zu kommen, sondern Menschen zu versammeln, deren Arbeit ihr jeweiliges Bewusstsein rund um das Thema Erde mit einbezieht, und ihnen eine Gelegenheit zu bieten, hier ihre Gedanken dazu darzulegen.
Die konkreten Inhalte der Diskussion können Sie der folgenden Dokumentation bzw. Videoaufzeichnung entnehmen, wobei uns die Herren Ozawa, Kosaka, Günther und Mihara meiner Meinung nach einen guten Einblick in ihre verschiedenen, wahrhaft ungewöhnlichen Aktivitäten gewährt haben. Nach einer kurzen Pause gab der Philosoph Kenichi Mishima, der sich alle Präsentationen angehört hatte, einen allgemeinen Kommentar. In seiner Rede verwies er auf diverse post-Hegelsche Gedanken zur Interpretation der Beziehung zwischen Mensch und Natur, und definierte die Position dieser Gesprächsrunde vor dem Hintergrund unserer sich kontinuierlich ändernden Denkweisen in dieser Hinsicht.
Die Zeit reichte leider nicht für einen ausführlichen Meinungsaustausch, doch ich denke, dass sich dies nicht negativ auswirkte. Obwohl uns hier sehr verschiedenartige Denkanstöße vorgestellt wurden, war es doch keine wahllose Ansammlung individueller Aussagen, denn sie alle basierten auf einer geteilten Sorge um den Planeten Erde, und zeichneten als Ergebnis die Umrisse eines bestimmten gemeinsamen Bewusstseins.
Sie werden mir zustimmen wenn ich sage, dass wir alle heute in einem vagen Zustand der Ungewissheit leben. Nehmen wir das große Tohoku-Erdbeben und den Unfall im Atomkraftwerk Fukushima zum Beispiel. Diese Wunden sind unermesslich, und viele Menschen sind besorgt, dass ihr tägliches Leben auch weit entfernt vom Katastrophengebiet langsam aber sicher radioaktiv verseucht werden könnte. Während wir immer noch nicht genau wissen, ob die Erderwärmung verantwortlich zu machen ist, gerät das globale Klima deutlich aus dem Gleichgewicht, und in allen Teilen der Welt werden Menschen nach wie vor Opfer von Terrorismus und Krieg. Offensichtliche Provokationen solcher Organisationen wie ISIS treffen auf stürmische verbale Konter, während der Rausch des Nationalismus die Ausländerfeindlichkeit anfächert. Die wirtschaftliche Ungleichheit wird immer deutlicher, und eine Wirtschaftskrise jagt die nächste…
Den Ausweg aus dieser bedrohlichen Situation wollen wir Politikern und Experten auf den jeweiligen Gebieten überlassen, und geben jährlich Millionen für internationale Konferenzen und Expertentreffen aus, wobei nicht einmal klar ist, ob dabei überhaupt Fortschritte gemacht werden. Verschiedene Meinungen treffen aufeinander, Standpunkte werden wiederholt klargemacht, und am Ende erscheint die Lage nur noch kritischer als vorher.
Es ist eine klare Tatsache, dass wir uns dem allzu großen Problem der Welt als ein Ganzes, von dem wir selbst ein Teil sind, stellen müssen. Simple Konzepte von Ursache und Folge greifen nicht mehr, und alles ist miteinander verwickelt und verstrickt. Das „Ganze” ist zu groß und kompliziert, um darin seine eigene persönliche Rolle auszumachen, und wie sehr „wir” auch diskutieren, wissen wir am Ende immer noch nicht genau, was jedes einzelne „Ich” in diesem Moment zu tun hat.
In solchen Zeiten ist es für uns notwendig, äußere Stützen und innere Stärke zu finden, um standfest und selbstsicher leben zu können. Ohne solch geistigen Rückhalt werden wir mit Leichtigkeit vom Strudel der Ungewissheiten erfasst, der uns unbarmherzig und kontinuierlich zermürbt.
Wo können wir nun solche Stützen finden? In uns selbst, sagen manche. In der Familie oder Gemeinde. In der Firma oder dem Staat. In Völkergruppen oder Religionen. Ich selbst würde zu dieser Liste der möglichen Antworten noch die Erde, und sogar das Weltall hinzufügen, denn ich glaube an den Sinn einer neuen Art der Beziehung, die das menschliche Individuum mit seinem Heimatplaneten verbindet.
Jun Hoshikawa, ein Freund, den ich sehr respektiere, nannte sich selbst einmal einen „in Japan lebenden Erdling”, und meine eigene Auffassung ist dem sehr ähnlich. Wenn ich aus dieser Perspektive auf unsere Gesprächsrunde zurückblicke, wird mir plötzlich klar, dass es in der Tat ein Treffen solcher Erdlinge war.
Ist es heute nicht essentiell, dass wir erkennen, was wir als Individuen tun müssen, und selbständig denken und handeln, ohne zum Spielball unserer Zeit zu werden? Die Teilnehmer dieser Gesprächsrunde engagieren sich ihm Rahmen ihrer jeweiligen persönlichen Möglichkeiten – wie limitiert diese auch sein mögen – in verschiedene Aktivitäten, in denen jeder von ihnen eine Verbindung zwischen sich selbst und der Erde bzw. dem Weltall herstellt. Diese Tatsache allein erfüllt mich selbst mit großer Hoffnung.
Obwohl unser Gespräch weder einen gemeinsamen Plan noch irgendein Manifest hervorgebracht hat, und in engen zeitlichen Grenzen stattfand, war es doch eine bedeutsame Gelegenheit für eine Handvoll Menschen, sich hier an einem Tisch zur Diskussion zusammenzufinden. Ich habe das bestimmte Gefühl, dass dieser Tag nur der Anfang eines Dialoges war, der sich über längere Zeit fortsetzen wird.
Takashi Serizawa
Direktor, P3 art and environment
Takashi Serizawa wurde 1951 in Tokyo geboren. Er studierte ökologische Regionalplanung, bevor er 1989 die Organisation „P3 art and environment” gründete. Seitdem war er an zahlreichen Projekten vor allem in den Bereichen zeitgenössische Kunst und Umweltplanung beteiligt. Weitere berufliche Tätigkeiten waren: Generaldirektor des internationalen Festivals für zeitgenössische Kunst „Demeter” in Tokachi (2002), Direktor des Asahi Art Festivals (2003-), Kurator der Yokohama Triennale 2005, und Generaldirektor des Festivals für zeitgenössische Kunst „Mixed Bathing Word” in Beppu (2009, 2012). Seit 2012 ist er Leiter des Design and Creative Center Kobe. Er ist außerdem der Autor von „Kono wakusei wo yudo suru” (Iwanami Shoten), „Getsumen kara no nagame” (Mainichi Shimbun-sha), „Beppu” (Planungsausschuss des Festivals für zeitgenössische Kunst „Mixed Bathing Word” in Beppu) u.a.
www.p3.org
Hideyuki Ozawa
Inhaber von Earth & Sky Ltd.
Hideyuki Ozawa ist in Japan geboren. Nachdem er sein Studium an der Meiji Universität abgeschlossen hat, wanderte er 1989 nach Neuseeland aus. Dort bietet er seit 1994 Touren zum Mount John in Tekapo an, auf denen man die Sterne beobachten kann.
Bei der Betrachtung des nächtlichen Himmels fühlt Herr Ozawa die Nähe zu unserem Planeten und den Sinn des Lebens. Eine sternenklare Nacht, in der man die Milchstraße sehen kann, erinnert ihn daran, dass wir ein Teil dieser Galaxie sind und die Erde als einer von vielen Himmelkörpern ihre Bahnen durch das Universum zieht. In diesen Momenten erkennt er ehrfürchtig, wie verletzlich und klein die Erde und die Menschen sind. Er möchte den Himmel über Tekapo zum Weltkulturerbe machen, damit nachfolgende Generationen dieses Fenster zum Universum auch noch betrachten können.
www.earthandskynz.com
Jun Kosaka
Grafikdesigner
Jun Kosaka wurde 1966 geboren. Er studierte Architektur mit dem Schwerpunkt Bauingenieurwesen in Osaka und Tokyo. Von 1994 bis 2000 war er für das Einband-Design des SF Magazine (Hayakawa Shobo) verantwortlich. 2006 wurden vier seiner Arbeiten als permanente Ausstellungen im Sony Explora Science Museum Peking installiert. Er war an der Produktion des „Diagram of our Universe 2007“ für das Ministry of Education, Culture, Sports, Science and Technology beteiligt, und erhielt im selben Jahr einen Bronzepreis auf dem Cannes Lions International Festival of Creativity, einer der wichtigsten Preise der Werbebranche. Koautor von "Uchu ni koi suru 10 no ressun" (Tokyo Shoseki, 2010). 2011 legte er einen Plan zur Neugestaltung des Marktes in Takaoka vor. Seit 2000 werden seine visuellen Arbeiten in Serie in der Asahi Shimbun veröffentlicht. 2011 nahm er an der Ausstellung „Eizo wo meguru boken vol. 4 – mienai sekai no mitsumekata” im Tokyo Metropolitan Museum of Photography teil. Er war an der Produktion des „Diagram of Our Universe 2013” und des „Diagram of the solar System 2014” für das National Astronomical Observatory of Japan beteiligt.
www.jun.com
Ingo Günther
Künstler
Der Medienkünstler Ingo Günther wurde 1957 in Bad Eilsen geboren. Zunächst studierte er Ethnologie und Kulturanthropologie, 1978 bis 1983 studierte er an der Kunstakademie Düsseldorf. Es folgten mehrere Lehrtätigkeiten in Braunschweig, Münster, Köln, San Francisco und Tokyo. Daneben entwarf er verschiedene mediale Kunstprojekte. Seine Arbeiten wurden u. a. im Guggenheim Museum in New York, auf der documenta in Kassel und in vielen anderen namenhaften Museen ausgestellt und sind mehrfach preisgekrönt.
Seit 25 Jahren arbeitet er an seinem Projekt „World Processor“, mit dem er die Komplexität der Erde zu erfassen versucht. Er sammelt und verarbeitet nummerische Daten über die Erde und veranschaulicht sie in Form filmischer Projektionen auf Globen, die derzeit im Tokioter National Museum zu betrachten sind. Durch die künstlerische Umsetzung versucht er, die sich ständig wandelnde Erde, ihre physischen Dimensionen und die zahlreichen Probleme auf unserem Planeten nachvollziehbar zu machen und unterschiedliche Sichtweisen auf die Erde zu eröffnen.
www.ingogunther.com
Soichiro Mihara
Künstler
1980 in Tokyo geboren. Bedient sich diverser Technologien für die Erstellung und Präsentation von Systemen zur weltoffenen künstlerischen Untersuchung des „Hier und Jetzt”. Seit 2011 arbeitet er an seinem „Kuhaku no purojekuto (Freiraum-Projekt)” als künstlerisches Unterfangen jenseits des fundamentalen postmodernen Systems unserer Gesellschaft. 2013 startete er eine Reihe von Künstlerresidenzen in verschiedenen Ländern, um sich mit „Nationen” zu beschäftigen. So war er z.B. am SymbioticA, einem australischen Kunstlabor, das Studien und Praktiken im Bereich der Biowissenschaft ermöglicht, um sich mit lebensbezogener Technologie auseinanderzusetzen. Seine Tätigkeit hier umfasste die Produktion mikrobieller Brennstoffzellen, die Kultur eigener Haut, sowie Feldforschung in West-Australien. Nach einem kurzen Aufenthalt in Südamerika ist er derzeit auf dem Weg zu seiner nächsten Station.
www.mhrs.jp
Kenichi Mishima
Philosoph
Kenichi Mishima wurde 1942 in Tokyo geboren und studierte Philosophie, Germanistik und Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft. Zunächst war er als Dozent, später als Professor an den Universitäten in Tokyo und Osaka tätig. Während seines Philosophie-Studiums verbrachte er zwei Jahre als DAAD-Stipendiat in Tübingen, später war er Forschungsfellow der Alexander von Humboldt-Stiftung in Bonn und 1994-95 Fellow im Wissenschaftskolleg zu Berlin. Mishima erhielt eine Vielzahl von Preisen und empfing 2011 die Ehrendoktorwürde der FU Berlin. Neben Publikationen über Nietzsche, Walter Benjamin oder Kritische Theorie setzte er sich in seinen Arbeiten auch mit der öffentlichen Diskussion in der alten und neuen Bundesrepublik auseinander.
Seine Veröffentlichungen beinhalten u.a. „Nietzsche" (Iwanami Shoten, 1987), „Geschichte der intellektuellen Diskussion in der BRD seit 1945" (Iwanami Shoten, 1991), „Nietzsche und sein Schatten" (Kodansha, 1997), „Intellektuelle Diskussionen im wiedervereinten Deutschland" (Iwanami Shoten, 2006) und „Nietzsche und danach" (Iwanami Shoten, 2011).
Gesprächsrunde „Wem überlassen wir die Erde?”
Dokumentation video
www.youtube.com/watch?v=jiMkj-Ei3H0
16. September 2015 発行 1. digitale Auflage (golightly / Media Design Research Ltd.)
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Das Goethe-Institut ist das weltweit tätige Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland. Wir fördern die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland und pflegen die internationale kulturelle Zusammenarbeit.
http://www.goethe.de/ins/jp/de/tok.html